Ralli Beaumonde

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"ehrliche Ganoven" aus Genua.. — 12. November 2011

"ehrliche Ganoven" aus Genua..

Ich widme diesen Eintrag dem von mir sehr geschätzten Johannes Mario Simmel und seinem charmanten „Thomas Lieven“ aus „Es muss nicht immer Kaviar sein“.

..ich hatte erzählt, wie ich als 17-jähriger, verliebter Tramper vier sehr freundliche und sehr schöne Frauen mit rätoromanischen Dialekt in einer schwierigen Situation kennenlernte und wie sie mir mit ihrer Freundlichkeit weiterhalfen.
Das war bereits auf der Rückreise von Südfrankreich, Monaco über die italienische Riviera.
Ich möchte heute zurückgreifen auf eine Situation der Fahrt oder besser des Fußweges und der Tramperei Richtung St. Raphael, wo ich mich mit einem Freund aus Deutschland lose verabredet hatte: „Man sieht sich dann irgendwo auf dem Marktplatz, wenn nicht, dann sicher in einer anderen der bekannten Städte“. Zwei „bunte Hunde“.
Ich hatte also einen interessanten Tag und eine abenteuerlich Nacht in Genua erst am Strand eines Schwimmbades, wo es aber nachts zu kalt wurde, dann im Garten einer verlassenen Villa verbracht, wo ich am frühen Morgen durch die endlich wärmenden Sonnenstrahlen und einem jungen, streunenden Kätzchen – mal wieder –liebevoll geweckt wurde. Ich schreibe eventuell ein anderes mal über „Genua“.
Jetzt war ich damit beschäftigt, von Genua weiter nach St. Raphael zu gelangen, und das war nicht einfach. Ich hatte nur noch sehr begrenzte finanzielle Mittel, und die Tramperei aus Genua gestaltete sich mehr als problematisch, sie funktionierte einfach nicht.
Das alles lässt sich leichter erzählen, als es sich in der erlebten Situation anfühlte.
Endlich hielt ein alter, grauer Mercedes mit zwei Männern an. Beide etwa 30-jährig und kräftig, mit harten Gesichtern.
Sie waren offenbar wohlgesonnen und neugierig, was es mit dem Jüngelchen, wie ich es damals war, auf sich hatte?
Ich ließ also den üblichen Tramperspruch los, wohin und was..
Und stieg hinten ins Fahrzeug.. Soweit ich mich erinnere, wollten sie ein Stück in die Richtung fahren, ich meine, wir unterhielten uns in einer deutsch-englischen Brockensprache, jedenfalls funktionierte sie, und das wesentliche wurde auf der Gefühlsebene nonverbal kommuniziert.
Die Männer kamen grob gesagt aus dem damaligen Jugoslawien, ein weit gespannter Begriff, sicherlich. Und sie waren auf „Tour“, d. h. ihre Kriegskasse war leer. Zwar nicht so leer wie meine, aber es kam der Eindruck rüber, das sie auf der Suche waren, für eine Idee, Möglichkeit, diesen Zustand zu ändern und offenbar waren sie darin erfahren. Ich weiß nicht mehr, wieso sich dieses herauskristallisierte, jedoch waren es keine Einbildung und Ängste von mir, denn ich hatte keine Voreingenommenheit oder Furcht. Ein Umstand, der sich später – und generell – als sehr hilfreich und vermittelnd erwies.
Ich denke, den beiden „Erwachsenen“ tat es einfach gut, von einem Wohlstandsbübchen menschlich unvoreingenommen als mögliche Freunde betrachtet zu werden. Möglicherweise ein Gefühl für sie, das beide in ihrem Leben sehr selten oder gar nicht kennengelernt hatten.
Wir kamen also ins Erzählen. Oder besser gesagt, sie hörten mir sehr aufmerksam zu und sprachen hin und wieder, um sich abzustimmen, in einer mir nicht verständlichen Sprache, die ich auch nicht einordnen konnte.
Wir sprachen also über alles möglich, d. h. sie ließen mich erzählen und hörten sehr – ich möchte betonen „sehr“ – aufmerksam zu, was mir mit meinem 17-jährigen Sonnengemüt schließlich auch auffiel.
Dieses wurde mir deutlich, als wir über Amerika – aus welchem Grunde auch immer – sprachen. Sie hatten amerikanische Ambitionen, ich meine, es war ihr Traum. Aber sie hatten keine reale Chance, sich dort legal aufhalten zu können. Wie anders war es mit mir! In meinem „Pfadfinder“-Brustbeutel war befand sich ein funkelnagelneuer Reisepass mit einem funkelnagelneuen unbegrenzten Visum des amerikanischen Generalkonsulat Frankfurt eingestempelt, der jeden amerikanischen Traum wahr werden lassen konnte. Frag mich nicht warum, aber ich war eben für die US-Administration sehr vertrauenswürdig.
Na, und darauf war ich einigermaßen stolz. Und arglos genug, stolz davon zu erzählen.
„Der geneigte Leser“ (hier spricht jetzt Johannes Mario Simmel) möge mir meine damalige Unüberlegtheit nachsehen, aber sie verhalf mir schließlich zum Guten.
Es folgte ein ernster Wortwechsel unter den Männern, eine Diskussion interner Art. „Was machen wir?“.. in der mir nicht verständlichen Sprache. Ein Für und Wider. Soweit ich es mitbekam, diskutierten sie den Nutzen dieses Passes für ihre amerikanischen oder sonstigen Pläne einschließlich der damit erforderlichen Schritte. Es mag dahingestellt sein, wie weit da gedacht und gesprochen wurde. Vom „Abnehmen“ des Passes bis zum „Beseitigen“ meiner Person wurde möglicherweise alles diskutiert.
Der Ernst der Situation war unverkennbar, auch wenn eine äußere Fassade notdürftig blieb.
Während dessen fuhren wir ziemlich ziellos, meines Erachtens, so lange, bis ausdiskutiert war. Zwischen den Vordersitzen lagen grüne Birnen, und die Männer, die erfahren hatten, das ich hungrig war, boten mir an, mich davon zu bedienen, was ich auch gerne tat. Ich war mehr als hungrig, die Birne war erfrischend.. und man gewann Zeit.. auf beiden Seiten. Außerdem nahm es den Ernst der Situation, auch auf beiden Seiten.
Einer der Männer, ermunterte mich eine weitere oder mehrere Birnen zu essen, was ich nach unnötigen Höflichkeitsfloskeln euch gerne tat. Ich griff also zur zweiten Birne.
Dann sagte einer der Männer einen entscheidenden Satz, etwa in der Art, dass ich mir mal merken sollte, wenn mir einer einmal etwas aus freien Stücken und Überzeugung anbietet, sei es unpassend, gar albern und nicht einmal höflich, floskelhaft nachzufragen, ob es auch „genehm“ sei. Ein Lebensweisheit, die ich erstmalig in meinem Leben so formuliert bekam, und die ich mir einprägte. Ich möchte sie hiermit an alle „Unbedarften“ mit den besten Empfehlungen der beiden Genua-Ganoven weitergeben. Vielleicht zieht ja jemand Nutzen daraus?
Das war der entscheidende Knackpunkt im Gespräch und der Diskussion. Sie hatten offenbar entschieden, mich als einen „ihrigen“ zu betrachten, etwas hatte ihr Herz berührt, das sie zweifellos hatten, wie sich noch zeigen wird.
Ich glaube, sie rauchten während der Diskussion, und ich bin mir sicher, sie hatten in ihrem Leben reichlich erfahren, was Hunger ist.
Wir fuhren noch immer ziellos und eigentlich sinnlos durch Genua, grobe Richtung Riviera.
Dann änderte sich das Gespräch, offensichtlich ein neues Thema. Plötzlich parkten sie vor einem auswärts gelegenen Ristorante ein und forderten mich auf, mitzukommen, sie wollten etwas essen und sich dabei besprechen.
Ich wies darauf hin, dass ich mir kein restaurantmäßiges Essen leisten könne. Sie winkten ab. Ich war eingeladen. Es war ein bescheidenes Restaurant, ich erinnere mich u. a. an grobe blau-rot karierte Tischdecken und klobige Glasaschenbecher. Wir nahmen also Platz, und die Männer sprachen u. a. weiter über das Visum. Eine zeitlang noch ernsthaft, dann hatte ich den einigermaßenden Eindruck oder die Hoffnung, dass es sich zunehmend im für mich günstigen Sinne erledigt hatte.
Ich durfte mir ein einfaches Spaghettigericht und ein Getränk bestellen, was ich diesmal ohne Nachfragen gerne tat und jetzt fällt mir ein, dass sie nichts aßen, sondern rauchten und tranken. Einen Moment hatte ich den Gedanken an eine Henkersmahlzeit, aber vielleicht bildete ich mir das nur ein.
Ich bin mir auch heute noch sicher, dass beide Männer kein Geld hatten, und es auch nicht ihrem Naturell entsprach, herrenlose, trampende Bübchen zum Essen einzuladen. Es musste also etwas geschehen sein. Aber was?
Ich bin überzeugt, sie hatten einfach Herz, es waren „ehrliche Ganoven“. „Ganev“, wie es im jiddischen heißt. Tewje Milchmann aus der Ganovenabteilung.
Ich war ihnen dankbar. Sehr dankbar.. und erleichtert.
Wir schieden als (Ganoven-)freunde, und ich schaute mich um, ob ich am nahegeleghenden Ufer mittlerweile einen Platz in einem Boot zum schlafen finden konnte.
Macht’s gut ihr beiden.. viel Glück in Amerika…

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