Ralli Beaumonde

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Das ist die Geschichte von Willy — 30. November 2011

Das ist die Geschichte von Willy

Willy ist ein Mensch wie Du und ich, er hat seine Arbeit und sein Umfeld und lebt gar nicht weit von uns. Willy ist etwa so alt wie viele, etwas jünger, etwas älter. Willy ist ordentlich, das weiß er und das wissen auch die anderen. Willy ist okay.
Trotzdem ist Willy nicht glücklich, nicht einmal zufrieden. Willy möchte auch glücklich sein und er gibt sich wirklich alle Mühe.
Am Freitag morgen wachte Willy auf, er hatte gerade Urlaub und hatte sich erlaubt, eine halbe Stunde länger liegen zu bleiben. Willy hat Disziplin, das hatten schon seine Eltern und das hat ihm immer geholfen. Als er noch so im Bett liegt und die Augen langsam aufmacht, merkt er plötzlich, daß irgend etwas anders ist, er reibt sich die Augen, aber etwas ist anders, nicht daß er nicht gut sehen könnte, nein, er sieht genauso gut wie immer, aber irgendwie anders? Soll es ihn beunruhigen, er beschließt mal abzuwarten, seinen Arzt könnte er notfalls noch immer fragen. Es beunruhigt ihn auch nicht direkt, aber er wüßte gerne, was es ist. So dreht er sich leicht beunruhigt, aber doch schon wieder ganz der alte noch einmal ruhig in seinem warmen Bett um, fünf Minuten darf er ja noch. Als er sich streckt und seine Hand auf den Bauch legt, stutzt er, ja er erschrickt sich, aber wie!
Moment, würde er stehen, könnte man sagen, es versagen ihm die Füße, na ja immerhin liegt er. Er fühlt noch einmal und ein Schauer überläuft ihn, eine Panik fast: Da ist ein Riesenloch in seinem Bauch.
Einfach ein Loch, es tut nicht weh, es blutet nicht, irgendwie, als gehöre es dorthin, als sei es ganz normal, als gehört so ein Loch zu einem normalen Menschen.
Nun weiß Willy, daß das so nicht ist und sein kann, außerdem hatte er noch nie ein Loch da. Ist er verrückt?
Was soll das, so etwas gibt es doch gar nicht. Da kann doch plötzlich kein Loch sein. Er tastet wieder, nichts tut weh, es ist alles normal.
Völlig normal, er ist gesund, fit wie immer bzw. so fit wie ein Willy in seinem Alter und seiner Situation eben sein kann.
Einen Moment wird es ihm unheimlich, er kann doch nicht mit einem Loch rumlaufen? Vielleicht hat er sich getäuscht? Eine Illusion, die hoffentlich gleich wieder weg ist, puh, wie beunruhigend, das macht einem ja richtig Angst. Willy überlegt, bin ich normal, bin ich vielleicht verrückt, was ist denn passiert, wo kommt das Loch her?
Vor allem, was sollen die Leute dazu sagen? Er müßte es verbergen, aber würde das gelingen? Das ist doch alles Blödsinn! Er stellt sich vor, das Loch bliebe da – tatsächlich hier ist es, es ist da und geht bisher nicht weg – und er würde zum Arzt gehen und sagen, Herr Doktor ich habe da eine etwas ungewöhnliche Sache, ich habe da ein Loch?
Unvorstellbar! Er hat noch nie etwas davon gehört, daß es so etwas gibt. Jetzt erfaßt Willy echte Panik. So eine Scheiße, ich kann doch nicht mit einem Loch im Bauch zum Arzt gehen, wie soll ich das denn erklären? Ich bin doch kein Monster, keine Abnormalität?
Willy steht auf, duscht und rasiert sich und bei allem vergewissert er sich, ob sein Loch noch da ist, ja ist es, so als gehöre es dorthin, als sei es immer dort gewesen. Also beschließt Willy, sein Loch vorläufig zu akzeptieren, na zumindest die Tatsache, daß es im Moment jedenfalls da ist und spinnen tut er nicht, da ist er sich einigermaßen sicher. Wenn er sich ankleidet, sieht man es gar nicht, es gibt keine Kuhle, keine Falte, als sei es eigentlich gar nicht sichtbar, aber wenn er fühlt, er kann es fühlen.
Da klingelt es an der Haustür und Karl lächelt ihn an: Hallo, Willy, altes Haus, alles klar? Bist Du fertig zum Grillen? Sag mal, Du siehst ja ganz blaß aus, ist Dir nicht gut?
Alles okay, kann Willy noch sagen, denn er meint gesehen zu haben, daß Karl auch ein Loch im Bauch hat. Was guckst Du denn so, Willy, ich habe extra ein altes T-Shirt angezogen, das ist doch in Ordnung? Oder? Natürlich, sagt Willy und er schnappt die Sachen für die Gartenparty bei Karl und schon sind sie im Auto.
Während Karl erzählt, wer alles kommt und nicht kommt, ist Willy noch in Gedanken. Es fällt ihm heute ein, wie leer sein Leben eigentlich ist. Die Gartenparty, na immerhin etwas Ablenkung, nur nicht Grübeln Junge, der Spruch seiner Mutter hatte ihm schon oft geholfen. Geholfen eigentlich nicht, aber er hatte sich dann auf seine Arbeit und seine Pflichten konzentriert und das hatte ihm geholfen. Arbeiten tat ihm gut, dann hatte er etwas zu tun. Manche mögen es ja nicht, wenn andere ihnen sagen, was zu tun ist, Willy war da anders erzogen, er konnte sich unterordnen, solche Probleme hatte er nicht, deshalb war er im Leben auch noch nie angeeckt und darauf konnte er doch zu recht stolz sein? Was heißt Fragezeichen, natürlich kann er stolz sein. Und während er an seine Arbeit dachte, beruhigte es ihn und das Loch, ja, fast hätte er es vergessen. Er dachte, so funktioniert das Ding, ich denke an meine Arbeit und das Loch ist weg. Unauffällig schob er die Hand unter den Sicherheitsgurt, aber das Loch war noch da. Sitzt Du bequem, Willy? Schon alles okay, ich war gerade in Gedanken, Karl. Sag mal, die Jutta, war doch in einer Wellness-Klinik, hat sie die Kataloge dabei, sie hat mir erzählt, sie habe sich danach gut gefühlt. Zumindest ging es ihr ein paar Monate ganz gut, mehr kann man ja auch von einer so kurzen Sache vielleicht nicht erwarten? Ich überlege, ob ich nicht auch mal mich so richtig entspanne und diese neuen Wellness-Erkenntnisse aus unserer Gesundheitsforschung nutze? Ach weißt Du, sagt Karl, ich habe mich in verschiedenen Vereinen und Clubs angemeldet, das tut mir gut, da bin ich unter Geleichgesinnten, die haben meistens ein tolles Programm, jedenfalls ist oft was los und ich vergeß meinen Kummer, wenn wir beim Bier sitzen oder für den Verein etwas arbeiten. Und dann die Ausflüge, es hilft mir, die Woche zu überstehen.
Ja, denkt Willy, in wieviel Vereinen hatte er sich angemeldet um sein Loch zu füllen… halt mal, so war es doch gar nicht, das Loch gab es doch da noch gar nicht. Na jedenfalls Vereine waren schon ganz gut. Er selbst hatte aber lieber die Treffen mit Leuten aus seinem Umfeld, da fühlte er sich aufgehoben, die Leute füllten sein Loch auf und er ihres, die Hauptthemen waren ihre Löcher, Manch einer wußte abenteuerliches über unglaubliche Löcher zu berichten, was dann reihum diskutiert wurde, Jedenfalls nahm man ihn für voll, er hatte schließlich auch ein Loch vorzuweisen. Einmal hatten sie einen, der hatte gar kein Loch, aber das hatte man schnell gemerkt und der kam auch nicht wieder, Willy hatte den noch einmal nachts auf einer Parkbank mit einer Frau getroffen, die eigentlich viel zu jung für den war und außerdem hatte es ihn geärgert, wieso so eine gut aussehende Frau sich mit dem abgeben konnte? Er war sich fast sicher, daß es sich um ein Flittchen handeln mußte, denn anders war es doch wohl nicht zu erklären. Und während Karl scharf in die Kurve zur Auffahrt fuhr, dachte Willy daran, wie sehr er sich und wie lange schon danach sehnte, jemanden zu lieben und geliebt zu werden? Seine Mutter hatte ihm schon alle Tricks beigebracht mit den Frauen, worauf er als Mann achten muß. Er hatte einige kennengelernt, aber irgendwie war es dann immer auseinander gegangen: Inge damals, die konnte kochen, aber ihr dauerndes Lachen hatte ihn schließlich gestört, das Leben ist nun mal nicht zum Lachen und schon gar nicht dauernd. Außerdem hatte es ihn geärgert, daß sie so schön lachen konnte, es hatte ihn fast neidisch gemacht und er hatte der Sache mißtraut, zu recht, wie er sich sicher war. Ein bißchen wehmütig war er allerdings dann schon, denn er hätte auch gerne so lachen gekonnt. Aber er hatte sich dann in die Arbeit gestürzt und das hatte ihm geholfen. Seine Mutter hatte es wohl mitbekommen und ihm gesagt, Willy, mach Dir nichts draus, es war eben nicht die Richtige, Du wirst schon eine finden. Und dann fiel ihm ein, schon als Junge hatte ihm sein Vater erzählt von seinem Vater und dessen Vater, die übrigens alle Willy hießen und das waren alle ernste Leute, das wußte man und deshalb waren sie auch im Ort respektiert. Hallo, Leute, rief Jutta beim Aussteigen und kam ihnen händewedelnd über die Einfahrt entgegengelaufen. Willy, weißt Du, was ich euch mitgebracht habe? Schau mal, sagte sie und schwenkte einen bunten Glanzprospekt von Dr. Müller-Meiers-Aktiv-Fitness-Wellness-Wohlfühl-Oasen-Klink in Bad Dingsdorf. Hier nur für Dich, das wird Dir gefallen. Komm, sagte sie und zog ihn auf einen freien Platz auf der Terrasse zu einem Gartensessel. Hallo, sagte Willy zu den anderen und da merkte er, daß er wieder so komisch sah, wie beim Aufwachen: Er sah die Leute ganz anders als sonst und er schaute noch einmal in die Runde, sah die erwartungsvollen Gesichter, einige waren schon etwas angeheitert, die Stimmung war schon prima, wie man in seiner Clique so sagte, aber er sah noch etwas, nämlich Löcher, Löcher, die er noch nie gesehen hatte, Norbert, ein Riesenloch, mindestens zweimal so groß wie seines, was heißt seins? So weit war er noch nicht und er nahm sich auch vor, es nicht soweit kommen zu lassen, sein Loch, das wäre ja wohl ein Witz. Allenfalls ein Loch bei ihm, wogegen er im Moment machtlos war, aber irgendwie hatte er plötzlich das Gefühl, das mit dem Loch für sich ausfechten zu können. Außerdem schien es ja wohl jede Menge andere Leute mit Löchern zu geben, er nahm sich jedenfalls vor es seinem Loch in Ruhe zu zeigen, was heißen sollte, er machte eine Kriegserklärung an dieses blödsinnige Loch und gleichzeitig nahm er sich noch etwas vor, nämlich erstmal ein frisch gezapftes großes Glas Weizenbier, das Jutta im lächelnd zureichte und näher rückte um ihm die Einzelheiten ihrer phantastischen Supererfolgserfahrung mit ihrer Klinik zu erzählen. Täuschte er sich oder hatte Jutta unter ihren Speckfalten auch ein Loch? Einen Moment sah es so aus, aber durch das Weizenbier war er einen Moment abgelenkt
Erwartungsvoll nahm Willy den Glanzprospekt, schon die Überschrift war beruhigend, Fühlen Sie sich endlich frei, gesund und aktiv nach einer Woche, Dynamische interaktive Schrot-Majong-Diät-Fitness-Behandlungen unter ärztlicher Aufsicht, Verlängerungswochen möglich, Saisonpreis…. na, das klingt vielversprechend, warum war er nicht schon früher darauf gekommen. Zuhause bei den Eltern, nun damals gab es so etwas ja noch nicht, auch war man mit der Forschung noch nicht so weit, dusche Dich einfach kalt ab oder nimm Dir ein Buch, Willy, dann fühlst Du Dich wieder, na ja er würde jedenfalls diese neue Sache von Jutta vorziehen. Ganz streng soll es da zugehen. Klar Ordnung muß sein, sonst hat ja die Sache kein Erfolg. Man lernt dort auch Fühlen, hörte er Jutta sagen, die gerade in ein herzhaftes Würstchen biß. Zweimal täglich eine Stunde Fühlen… unter Prof. von Falkenberg.
Wir hatten da ergreifende Szenen, Willy, meine Zimmernachbarin, geschieden, weißt Du, 30 Kilo abgenommen und eine Woche nicht geraucht, leider hat sie mir am Telefon gestern erzählt, sei der Druck zuhause wieder so stark, daß sie nur noch einmal abends in der Woche auf der Trainingsschaumstoff-Entspann-u. Fühl-Matte dazu kommt, zu fühlen.
Wir mußten uns alle im Kreis hinsetzen und dann kam die Stimme von Prof. Falkenbergs Fühlassistentin, sie müssen sich jetzt fühlen. Herrlich, Willy, es ging mir durch und durch, jeder hat sogar noch eine Fühl-CD bekommen, für zuhause oder beim Autofahren oder Joggen. Prima, kann ich Dir sagen, das bringt echt was.
Noch’n Bier fragt Rolf, der sich über Juttas Schulter beugt und zwei vielversprechende Biere schwenkt.
Ja, CDs die sind gut, Willy hatte einige Entspannungs- und Wohlfühl-CDs seit Jahren abonniert teilweise in mehrfacher Zahl, das waren immer gute Geschenke und er konnte sich noch erinnern, welchen Eindruck er am Anfang auf einer der Loch-Auffüll-Partys bei seinen Leuten damit machte, die kleine Renate war ganz begeistert, als er so viel von Gefühl sprach. Leider ist und war sie ein ziemlich zugeknöpfter Typ und er hatte eigentlich gedacht, das mit dem Gefühl würde sie vielleicht auch ein bißchen anders verstehen, aber darauf war sie nicht eingegangen, außerdem war es ja nur so eine Idee von ihm. Er hatte es mal in einem Film gesehen, natürlich war das so ein Supertyp auf den alle Frauen fliegen, der wahrscheinlich nie was arbeiten braucht und immer Glück und Geld wie Heu hat. Aber das wußte Willy, so etwas gibt es nur im Kino, da war er seinen Eltern dankbar. Mit solchen Illusionen hatte er sich noch nie aufgehalten, dafür stand er fest mit beiden Beinen im Leben. Er hatte schließlich gelernt, Verantwortung zu tragen und er trug Sorge für die Dinge, die man ihm aufgab oder von denen er annahm, das sie nun mal zu erfüllen sind.
Wieso kam jetzt das blöde Loch wieder dazwischen. Carola saß gegenüber und erzählte neues von der Anti-Loch-Szene, ich fülle mein Loch mit nem Versandhaus oder aus der Kafferöster-Boutique auf, das hilft mir für einen Moment. Habt ihr schon mein elektronisches Anti-Stress-Armband gesehen? 38,– Euro, die Woche im Angebot, plus eine elektronische Körpergewichtsreduzierungswaage nach Dr. Müller plus ein Badehandschuh mit Entspannungsemulsion. Auffüllflasche 17,– Euro, das ist was, hab ich mir geleistet, Kinder. Kann ich jedem empfehlen.
Willy kannte den Ablauf schon, die ungeschriebene Regel war, daß man sich über die aufzufüllenden Löcher unterhielt, auch wenn es ihm bisher nie so deutlich aufgefallen war und natürlich sagte niemand Loch dazu, man war sich stillschweigend irgendwie einig, das mit andern Begriffen zu benennen, beliebt waren auch wissenschaftliche Begriffe und entsprechend waren auch alle Erklärungen. Willy hatte sich sogar einige wissenschaftliche Bücher über Fachbegriffe zugelegt und konnte gut mithalten. Jedenfalls hatte sein Wort Gewicht, und das hatte er schnell gemerkt, gerade die Neuen, konnte man mit einem Fachausdruck doch leicht beeindrucken, was heißt beeindrucken, darum ging es ja gar nicht. In fortgeschrittener Runde spielten sie manchmal das Spiel, wer füllt mir mein Loch auf, das war zuweilen ganz lustig und Willy war einigermaßen geschickt dabei. Es hatte nur den Nachteil, daß es nicht lange vorhielt, wenn überhaupt und in letzter Zeit fühlte er sich anschließend, wenn er wieder alleine zuhause war noch elender, als vorher. Er hatte auch schon mal daran gedacht, alle Loch-Treffen einfach sein zu lassen, aber was hätte er dann? Außerdem dachte er mit Unbehagen daran, es seinen Leuten irgendwie erklären zu müssen und außerdem konnte er ja immer noch aufhören, das lief ihm ja nicht weg? Was hatte er denn für andere Kontakte? Ja, wenn er das Glück hätte, jemanden zu lieben? Er sah sich reisen, eine schöne liebevolle Partnerin an seiner Seite, das Leben genießen, alles Illusion, so was hält nicht lange, Junge, das wußte er von seinen Eltern. Wie gut, daß er seine Eltern hatte. Der Vater, arbeitsam und pflichterfüllend, ein gestandenes Mannsbild und seine Mutter, Leute, die sich durchgeschlagen hatten, feste Prinzipien, mit beiden Beinen im Leben stehend, keine Träumer, Gefühlsduselei kann es ja wohl auch nicht bringen. Nietzsche hatte er gelesen, das hatte der gut erkannt, wenn du zum Weibe gehst, vergiß die Peitsche nicht, ja Willy kannte schon eine Menge Kniffe, nur Jürgen der alte Sarkastiker hat gleich wieder gemeint, wenn du zum Weibe gehst, vergiß die Einkaufstüte nicht. Blöder Spruch, so mit Frauen umzugehen!
Sein Vater hatte seine Mutter regelrecht verehrt, natürlich hat es da auch mal gekrieselt und angeblich war Vater öfters im Puff und Mutter hatte wohl mal was mit einem Engländer, was solls, gegessen wird zuhaus, außerdem was hatte er damit zu tun? Zu ihm waren seine Eltern gut, sie hatten ihm das mit auf seinen Weg gegeben, was man im Leben braucht. Punkt. Fertig. Irgend jemand gegenüber fragte, haben sich Deine Eltern geliebt? Worüber unterhalten sie sich denn dort? Vielleicht sollte er mal den Platz wechseln? Geliebt, ja hatten sie das? Was ist schon Liebe? Ja, was ist Liebe, Junge, denk praktisch! War er geliebt worden? Natürlich, seine Eltern hatten ihn geliebt. Was für eine Frage, sie haben ihn erzogen, sie haben ihn versorgt. Natürlich haben sie mich geliebt, das war Willy klar. Nachgedacht hatte er aber noch nie darüber, wie ihm jetzt einfiel. Das ist doch normal, daß die Eltern ihre Kinder lieben, normalerweise jedenfalls. Buddhismus, Yoga, FengTsui, alles was der Markt hergab, er war stolz auf seine umfangreiche Büchersammlung, wie werde ich glücklich und frei. Ab morgen ein dynamischer Mensch. Lernen Sie Ihre Zeit einteilen. Er wußte Bescheid! Einmal die Woche ging er in den Kirchenzirkel, gebracht hat es ihm nicht allzu viel, was sein Loch betraf, aber man war unter Gleichgesinnten. Wenn er alles aufgeben würde, er kannte doch die anderen nun schon seit Jahren und wußte alles über ihren Kummer, kannte ihre Sorgen. Was blieb ihm denn? Morgen noch ein freier Tag, dann wieder Arbeit, na jedenfalls das! Etwas Sicherheit jedenfalls dort, obwohl, man hörte viel von Kurzarbeit und Entlassungen, na ja er würde schon Sorge tragen, damit zurecht zu kommen.
Echte Anerkennung hatte er auf seiner Arbeit eigentlich nie erfahren und dabei war er eigentlich gut, sehr gut sogar, aber das Leben ist ungerecht, das wußte er. Was war es doch schön, als er noch klein war, da hatte er jedenfalls noch seine Eltern, und jetzt, eigentlich nur noch Streß. Ja, Rolf, mir bitte auch noch ein Bier und beim Blick auf den Glanzprospekt auf Juttas Knien meinte er einen Moment den Schriftzug Loch-Auffüll-Klinik für alle Sorten von Löchern gelesen zu haben, aber hoppla, jetzt spinne ich schon, beruhigte er sich gleich wieder. Nur ruhig Blut, Willy, das ist ja eine private Klinik immerhin oder sogar staatlich, wissenschaftlich anerkannt steht dort mit roten Buchstaben. Also, alles klar, nur nicht die Pferde scheu machen und das Scheißloch, meinte er, begann sich auch schon aufzufüllen, und wenn nur im Moment mit Weizenbier. Immerhin es tat gut und die Stimmung besserte sich, er hörte in der Runde, wie die Themen wechselten, es war Fühlen angesagt, der interessanteste Teil dieser Treffen und vielleicht, er würde ja gerne mal was mit Carola anfangen, die stand jetzt am Grill. Einen Moment ließ er in Gedanken seine Hände ihre Schenkel hochgleiten, umfaßte ihren schönen Hintern und grub seinen Kopf, wie denkst Du über unsere Wanderung, Willy? Hans legte ihm seine Hand von hinten auf die Schulter. Ja Hans, der hatte auch sein Päckchen zu tragen, geschieden, fast alle hatten gescheiterte oder kaputte Beziehungen hinter sich, viele lebten allein, vielleicht traf man sich deshalb? Waren sie Leidensgenossen? Krebs im Endstadium hatte der Arzt Hans mitgeteilt, als die Mutter in die Klinik kam, dann der Autounfall, das Haus noch nicht abbezahlt, die Tochter mit einem Marokkaner, schwanger, der Typ irgendwo in Berlin über alle Berge. Sein Sohn, Hans junior, Abteilungsleiter, Karriere, erzählte Hans, sah aber irgendwie gar nicht glücklich dabei aus. Bärbel nimmt jetzt an einer Migräne-Selbsthilfegruppe teil, er bekam nur Wortfetzen mit, nur für Frauen, klang interessant, er hörte ein Lachen und dann wurde ihre Stimme fast zum Flüstern, wir sprechen über den Orgasmus bei Frauen, Erfahrungsaustausch. Simone und Carola lauschten andächtig. Was wohl Carola für einen Orgasmus hat? Vielleicht wäre es doch gut den Platz zu wechseln, drüben war gerade ein Platz frei und Jutta war gerade mit Jochen abgelenkt, der auch schon eine Menge Kurerfahrungen hat. Sieben Kuren, alle Klasse, bis auf eine, und sein Kurschatten, der war auch nichts in der Kur, er hatte sich Filzläuse geholt. War ihm eigentlich gleich aufgefallen, daß er die Alte eigentlich nicht mochte, eine Ärztin in Kur, wo gibts denn sowas, Willy dachte sich, das wäre ihm nicht passiert, da hätte es bei ihm gleich geklingelt, Ärztin in Kur, da muß ja was nicht stimmen?
Es dreht sich alles nur ums Loch, hörte er jemand sagen und dann sah er Bertie, den Angeber, wie er ihn heimlich nannte, und damit war er nicht allein. Bertie schaute in die Runde, als erwartete er einen Beifall aufbrausen zu seiner Bemerkung, als nichts kam, wiederholte er sie noch mal und guckte Carola bedeutungsvoll an, aber die war gerade mit dem Herzschrittmacher Ihrer Mutter und Fettabsaugen an den Oberschenkeln beschäftigt, während Simone ihr im Gegenzug von Migräne und der Frau mit der achteckigen Gebärmutter erzählte. Stop mal, achteckig, das liegt jetzt aber wirklich am Bier, Willy, halt Dich unter Kontrolle. Sein Vater war bekannt dafür, der wußte wies geht, 20 Bier, erzählte man, aber aufrecht und Gentleman durch und durch. Ging immer noch wie ne Eins. Zwei Sessel weiter war Joggen und Sonnenbräune angesagt, was in Sauna und Massage überging und Werner hat ein Rezept, das er seit 20 Jahren eisern einhielt. Jede Woche im Freibad, genau 20 Längen schwimmen, nicht mehr und nicht weniger. Nur einmal hatte es einen Zwischenfall gegeben, als ein paar jugendliche Flegel albern lachten und die Bemerkung eisernes Dampfross fiel, da war Werner eine halbe Länge außer Takt gekommen, was seinem Herzen gar nicht gut bekam. Zum Glück hatte er seine Tropfen dabei und so gings dann auch. Überhaupt ließen ja die Sitten im Bad einiges zu wünschen übrig, dachte Willy, da erinnerte er sich an einen erwachsenen Mann am Beckenrand, gutaussehend hörte er eine Frau sagen, sonnengebräunt, hörte er sich selbst sagen, der einfach nur so rumplanschte, im Schwimmer natürlich und das fand der offensichtlich lustig, jedenfalls war der ziemlich selbstvergessen, also eigentlich rücksichtslos und die beiden blöden Frauen am Beckenrand schienen das auch noch lustig zu finden. Die eine hatte einen tollen Busen, er war sich sicher, daß sie zweimal zu ihm rübergeschaut hatte, wie er sich männlich und eiskalt abduschte und dann zackig-sportlich ins Wasser sprang. Das hatte er lange geübt, sein Vater hatte ihn abgehärtet, jedenfalls machte es Eindruck, da war er sich eigentlich sicher, aber die mit dem Busen hatte es nicht beeindruckt, ihr Lachen hatte ihm einen Moment einen Stich gegeben, so etwas wie Inge. Na ja Werner, Werner wußte alles über Autos, Winterreifen, TÜV usw. er war ein wertvoller Teilnehmer der Treffen, für Willy, Willy hatte so sein Urteil, wer bringts und wer nicht. Natürlich waren alle okay, aber Werner konnte auch mit Frauen, seine Witze waren immer der Hit und je später die Nacht um so größer das Loch, stop wie kommt er denn jetzt wieder aufs Loch, Jutta, bring Du mir doch mal ein Bier, der Rolf hat meins bestimmt vergessen? So jetzt schnell den Sessel gewechselt. Was ist mit Orgasmus, direkt muß man bei Frauen sein. Was gucken die denn so blöd, er hatte sich doch nicht verhört? Lächeln, Junge, hatte er mal gelesen, ist die beste Waffe, seinem Gegner die Zähne zu zeigen, außerdem siehts charmant aus. Also Mädchen, was ist mit eurem Orgasmus, Mädchen hatte er eigentlich noch nie gesagt, aber immerhin, klang nicht schlecht, fiel auch leichter nach dem vierten Bier. Wir sprechen gerade über Wäsche, sagte Ilse, Vor Willys Augen tauchten einen Moment rote Dessous auf mit offenem Schritt, nein lieber mit geschlossenem, Lenor sagte Ilse bei meinen beiden Buben, jeden Tag mindestens zwei Maschinen, mach ich so zwischendurch, eine vorm Dienst, eine danach. Äh, Orgasmus, na ja wieder mal zu spät gekommen, Willy. Also ich versuchs noch mal, habt ihr ne Ahnung vom Orgasmus bei Männern? Das war jetzt aber frontal, sowas kann keiner überhören. Zwei Schleudergänge, dann bin ich fertig, nur noch aufhängen, Das macht die Ilse extra, so blöd kann keiner sein. Ist das bei euch ne Frauenrunde?
Willy, wie machst Du Deine Wäsche, ausgerechnet von Renate, als ob das jemand interessiert, ihn jedenfalls am allerwenigsten, jedenfalls im Moment. Drüben fassen sich Werner und ahh zwei neue Frauen an die Hand und um was gehts, Entspannung und Fühlen offenbar, nach Methode…. warum klappert der Rolf jetzt gerade mit den Bieren so rum. Wär doch besser gewesen drüben sitzen zu bleiben, wenn schon kein Orgasmus bei Frauen, dann zumindest anfassen, Werner sieht recht zufrieden aus, wahrscheinlich entspannt er sich echt dabei, vielleicht findet er es auch nur einfach gut, ne Frau anzufassen oder er ist nur höflich. Einen Moment kommt Willy der Gedanke zu rufen, ich möchte auch anfassen! Na ja, so gehts ja nun nicht, rübergehen, Interesse zeigen, einsteigen mitfahren. Bügelst Du Deine Hemden selbst, Willy, das war jetzt wieder Ilse.
Und jetzt, das verdammte Loch wieder, sein ganzes Leben gings doch, wieso kommt er heute morgen an so ein Scheißloch? Wieso fühlt er sich so leer, was fehlt ihm? Gut, Bier füllt auf, etwas. Aber das kanns ja wohl nicht sein. Scheiße, ich möchte glücklich sein, ich bin es nicht. Was soll ich mir hier den ganzen Müll mit Wäsche und Orgasmus und Fühlen anhören, ich fühl doch nichts. Carola, kann sie mich retten? Vielleicht steht die auf Frauen, mit Typen hat sie es nicht, Willy ist sich nicht sicher. Alles Scheiße, mich kann keiner retten. Selbst ist der Mann hatte Vater gesagt. Ja, gut, aber wie soll er sich selbst retten, vor was und wohin und vor allem wie? Und was möchte ich überhaupt? Ficken. Nein Ficken ist es nicht, würd mich jetzt eher traurig machen und mit wem? Warum liebt mich keiner, ich bin doch nicht häßlich, nicht blöd, ordentlich, Was macht Deine Rente, Willy, das kann ja nur von Renate kommen. Rente, ist doch noch meilenweit weg, was fragt die jetzt und mich nach Rente? Wenn ich mit einem Partner zusammengehen würde, müsste die Rente stimmen. Typisch Renate. Armer Typ, Partner nennt sie den, klingt ja ganz geschwollen. Na vielleicht gibts so einen, der wegen seiner Rente mit Renate Partner sein möchte. Allein hätte er mehr von seiner Rente, aber weniger von Renate. Würde ich wegen meiner Rente mit Renate Partner werden, denkt Willy. Wenn sie mich lieben könnte, kann sie nicht, die nicht, das ist ein Kerl und keine Frau, Mensch Willy, eben hast Du Durchblick. 50 Euro Rente, einmal reinschieben, 100 Euro… was schon wieder Mittwoch, ne, Willy laß den ganzen Scheiß, alles Verrückte. Carola, will die auch Rente? Also gut Renate füllt ihr Loch mit Rente auf, unter anderem nur so zusätzlich als Absicherung, Polster. Ja und mein Loch, denkt Willy, was brauche ich, wieso haben mir meine Eltern nie beigebracht zu sagen, was ich brauche? Also Willy, was brauchst Du? Es fällt mir nichts ein, Willy es fällt mir nichts ein, und dabei brauche ich es so dringend. Ich werde langsam aber sicher kaputtgehen, wenn ich es nicht kriege, ich könnte schreien, ich brauch es unbedingt, aber ich kann es nicht fühlen, was ich brauche. Vielleicht…
Ich möchte jemanden lieben und ich möchte von jemandem geliebt werden. Ja, das könnte es sein. Aber wie stelle ich es an? Wie geht es, gibts sowas überhaupt und warum für mich? Sind nicht alle unglücklich, ist doch kein Zufall hier auf der Grillparty. Willy, ich bin so unglücklich, ich könnte heulen, ich könnte mich auf den Boden werfen und heulen, schreien könnte ich. Willy hat einen Ausraster, ne, das kann ich nicht machen, Würd ja auch keiner verstehen, die reißen sich ja alle am Riemen, wir sind ja nun keine Kinder mehr. Disziplin, mein Junge!
Geht schon Willy, war nur mal ein Moment, jeder verliert mal die Kontrolle. Das Bier ist schuld. Carola, küß mich, Carola ich möchte Dich küssen, Carola, magst Du mit mir leben, magst Du mich, ein bißchen, vielleicht ganz sehr? Carola, alles nur Illusionen, Montag ist Abteilungsbesprechung. Carola, Du stehst da mit Deinem Glas in der Hand und Deinem Loch im Bauch und redest. Und redest. Und lächelst und weinst, merkst Du aber nicht, Du sollst nicht fühlen, genau das. Was haben mir meine Eltern angetan, ich fühle nicht mal mehr, was ich möchte, was ich brauche, was ich will, was mir fehlt. Mutter ist okay. Vater auch. Ich könnte schreien. Warum hat mir das keiner gesagt. Jetzt, wie soll ich das jetzt lernen? Nur kein Drama, Willy, trags wie ein Mann, nur nicht weich werden. Nanni Nanni Willi Willi hatte sein Vater immer gesagt, ein alter Marinespruch, sollte heißen: Nur nicht weich werden!
Gut, abgehakt, ein Schwächeanfall, hat jeder einmal. Ich möchte einmal schwach sein dürfen, ja, das ist es vielleicht? Aber wer würde mich dann lieben und akzeptieren? Frauen, ja, Frauen sind schwach, die dürfen das, Männer sind stark, wir trösten die Frauen. So gehörts sich. Das hat die Natur so eingerichtet, Danke Mutti oder Papa. Es hat alles seine Ordnung. Wir Männer sind hart. Natürlich liebevoll und natürlich gerecht. Das ist doch logisch. Ja, logisch ist das. Oh mein Loch, was…
Willy nimm Dir mal vom Salat, ist genug da.