Ralli Beaumonde

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in memoriam.. — 22. September 2015

in memoriam..

  • Wenn ein Gebetbuch reden könnte…

    Mein Blogfreund Beaumonde war so freundlich, mir einige Seiten eines seiner „Familienschätze“ zukommen zu lassen. Es handelt sich dabei um ein Marine Gesang- und Gebetbuch von 1907.

    Er schreibt dazu:

    Ich denke, das Büchlein hat vieles erlebt, den Untergang der Niobe, die deutschen Segelschulschiffe, insbesondere die alte Gorch Fock, mehrfach Kap Hoorn, Äquatortaufen, die Kaperfahrten der Atlantis (schiff 16), die Xarifa von Hans Hass, dem Taucher und Filmer.. u. u… auch unglückliche Ereignisse.

    Das Büchlein war auch in Deutschland schwerster Stunde dabei, ab Mai 1945 in der Marineschule Mürwik und ich schreibe dieses – wenn ich von schwerster Stunde spreche, unter dem Aspekt.. „gut, dass es ein Ende hatte“.

    Es war unterwegs in Schlauchbooten, deutschen und italienischen U-Booten nach der Versenkung der „Atlantis“.
    Es reiste zum Südseeatoll „Vana-Vana“, zu den „Kerguelen-Inseln“, es war Zeuge – meine ich mich zu erinnern – der Beschießung der Phosphorhäfen von „Nauru“ und erlebte auch unbeschwerte Zeiten, wie Fahrten und Treffen der Schwesternschiffe, „Albert-Leo-Schlageter“, die (alte) „Gorch Fock“ u. anderen, in Tenerifa und anderswo.

    Falls anläßlich des Stapellaufs der neuen Gorch Fock 1958 auch bei Blohm & Voss auch „geistliche Worte“ in zusammenhang mit der schiffstaufe gesprochen wurden ( ? ), so wird dieses Büchlein auch davon Zeuge gewesen sein, da sein Besitzer die Bauaufsicht anvertraut bekommen hatte und daher dort natürlich allein aus diesem Grunde „anwesend“ war.

    Es trägt Spuren von Salzwasser, denn es gab auch Untergänge, die es erlebt und überstanden hat.. auch den der „Niobe“, wie erwähnt. Vermutlich war es auch in Scapa Flow, denn es gab Erzählungen in der Familie darüber, die über das damals allgemein bekannte Ereignis hinausgehen.

    Hinsichtlich der Ereignisse in Kiel 1918 ist mir dazu nichts bekannt, abgesehen davon, dass die Wohnung und Heimatadresse Kiel war.

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    Xarifa
    Xarifa
    ungesichertes Foto aus einem Filmschnitt Scapa Flow
    ungesichertes Foto aus einem Filmschnitt Scapa Flow

    Matrose Erich Kühn, dessen Marine- Gesangs- und Gebetbuch wir hier vorstellen, war damals also Matrose auf der S.M.S. BAYERN, einem Großlinienschiff der Kaiserlichen Marine. Am 18. März 1916 wurde die BAYERN in Dienst gestellt und trat ihren Dienst am 15. Juli im III. Geschwader in Wilhelmshaven an.

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    Großlinienschiff S.M.S. BAYERN

    Die BAYERN gehörte zu den Schiffen, deren Internierung seitens der Entente im Waffenstillstandsabkommen gefordert wurde. Gemeinsam mit einem Großteil der Hochseeflotte trat sie am 19. November 1918 die Überführungsfahrt zum Firth of Forth an.
    Von dort aus lief das III. Geschwader am 26. November nach Scapa Flow weiter. Da unklar war, ob die deutsche Regierung den Versailler Vertrag unterzeichnen würde, gab der Befehlshaber des Internierungsverbandes, Konteradmiral Ludwig von Reuter am 21. Juni 1919 den Befehl zur Selbstversenkung. Die BAYERN versank um 14:30 Uhr.

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    Wenn ein Gebetbuch reden könnte, wäre es sehr spannend, diesem hier zuzuhören. Aber wie wir sehen, redet es ja. Wie viele andere alten Bücher auch. Man muss sich nur die Zeit nehmen, sich in ihnen zu vertiefen und sich fallen lassen in ihre Geschichten.

    Der ehemalige Matrose der S.M.S. BAYERN, Erich Kühn, hatte das Glück, zwei Kriege zu überleben. Dieses Glück ist vielen seiner Kameraden nicht zuteil geworden. Am heutigen Feiertag gedenken die katholischen Christen den Heiligen. Da ist sicherlich auch ein wenig Platz, denen einen Moment zu gedenken, die damals nicht mehr von See zurückkehrten. Egal, unter welcher Flagge ihre Schiffe fuhren.

    Meinem Blogfreund Beaumonde herzlichen Dank für die Gelegenheit, heute einmal etwas anders über die Marine berichten zu können.

9 Kommentare zu „Wenn ein Gebetbuch reden könnte…“

    • gelöschter User (Besucher)
    • 01.11.2012 @ 21:40:29

    Das ist tatsächlich ein echter Schatz!
    Um so mehr, wenn man von dem jeweiligen Familienangehörigen noch mit Hintergrundinformationen aus eigenem Erleben ausgestattet wurde, waren das doch, wenn man die Ausführungen so liest, auch sehr markante Ereignisse.
    Beneidenswert, wenn einem solche Zeugnisse der maraitimen Geschichte zur Verfügung stehen, vor allem, wenn es einen familiären Bezug gibt.
    Sowas darf auch in den kommenden Generationen nicht verblassen und sollte deshalb unbedingt in den Köpfen der Nachfahren weiterleben.
    Als Erinnerung (in Stolz) an das betreffende Familienmitglied sowieso, aber auch, um über die wechselvollen Ereignisse der Vergangenheit nachzudenken.
    Beaumonde hat sehr schöne Worte gefunden, um einen hier einfühlen zu lassen und auch neugierig zu machen.
    Ich bin begeistert.

  • 🙂

  • Das Gebetbuch ist etwas ganz wertvolles.
    Wenn ein Gebetbuch erzählen könnte…so erging es mir,als ich das Gebetbuch meines Großvaters bekam.
    In meiner Familie kann kaum einer mein Interesse an den zweiten Weltkrieg verstehen.Früher wurde mir gesagt…darüber spricht man nicht.
    Die einizige Person,die mir etwas darüber erzählte,war meine Ur-Großmutter.
    Sie vertraute mir einige Dinge an,wie es damals war,als ihr Sohn wieder zurück an die Front mußte und kurz darauf fiel.
    Das Gebetbuch…man hält etwas in den Händen…mit Stolz und auch mit tiefer Trauer.Ein stummer Zeuge jener Zeit.

  • Meine Eltern und Großeltern erzählten viele Geschichten aus dieser Zeit. Meist an langen Winterabenden, wenn die alte Kiste mit den noch älteren Fotos ausgepackt wurde. Da gab es auch alte Aufnahmen aus der Kaiserzeit mit jungen Männern in Uniform. Und jedes Bild erzählte eine Geschichte, jedes Gesicht verbarg ein Schicksal. Ich war da noch sehr jung, aber ich hörte gerne zu. Alle Geschichten, die die Erwachsenen erzählten, waren total spannend und so weit weg von meiner Realität, dass ich mir vieles gar nicht richtig vorstellen konnte. Mein Opa aber war ein geduldiger und guter Erzähler. Und was er erzählte, saugte ich auf wie ein Schwamm. Ich erlebte in meiner Phantasie alles noch einmal mit meinem Opa zusammen. Wie er wegen Schwarzschlachtens eines Schweins zum Tode verurteilt wurde. Wie die anrückenden Amerikaner ihn aus dem Gefängnis holten, wie er Kohlen am Bahndamm sammelte oder mit dem Fahrrad ins Münsterland fuhr, um Grubenlampen und Petroleum gegen Fleisch einzutauschen und auf dem Rückweg von russischen Soldaten kontrolliert wurde. Zum Glück hatte mein Opa polnische Wurzeln und sprach russisch. Und ein noch größeres Glück war, dass er musikalisch war. So zückte er seine Mundharmonika und spielte zur Freude seiner Kontrolleure russische Heimatlieder. Statt ihm das getauschte Fleisch wegzunehmen, konnte er nun die Fahrt mit zwei zusätzlichen Flaschen Wodka fortsetzen.

    Solche Geschichtchen gibt es zuhauf. Nicht alle haben so einen glückliches Ende. Aber sie dienen dazu, Geschichte besser zu verstehen.

    • Horst Kleibauer (Besucher)
    • 02.11.2012 @ 16:26:02

    von Olle
    Wunderbar dieses zu lesen. Ich habe mit Käptn Kühn die neue „GORCH FOCK“ vom Helgen
    gelassen und die Probefahrten gemacht. Er hat mir sogar ein Mützenband der alten
    „GORCH FOCK“ geschenkt. Er hieß bei uns an Bord immer Papa Kühn. Wir hatten immer Respekt und Achtung vor ihm.
    Gruß Horst Kleibauer. 1958-1963 GF-Fahrer

    • hallo olle,
      das freut sehr, dass du die probefahrten erleben durftest.
      so ein mützenband – jetzt, wo du es schreibst – habe ich auch noch ;)
      schön, dass jemand sich noch erinnert.
      vielen dank..
      und alles gute.
      danke auch an seefahrer, für die idee mit diesem eintrag..
      ciao ralli beaumonde (kühn)

  • Moin Horst,

    das freut mich sehr zu lesen. Und da soll nur einer sagen, es sei doch „nur ein Büchlein“. Aber kaum schlägt man es auf, purzeln schon die Erinnerungen heraus. Wie schön! 😉

    • gelöschter User (Besucher)
    • 02.11.2012 @ 19:14:35

    Das wird ja langsam immer spannender hier.
    Der Vater eines Bekannten von mir in meinem Geburtsort ist auch auf der alten Gorch Fock gefahren. Nach eigenen Aussagen verfügt dieser Mann auch noch über einiges Material seines Vaters aus dieser Zeit. Angesichts dieser interessanten Aussagen hier werde ich gemeinsam mit meinem Sohn bei einem der kommenden Besuche dort sein Angebot wahrnehmen, hier mal ein bißchen drin rumzuschnökern und eventuell Kopien von interessanten Dokumenten machen.
    Wie ich schon sagte, das macht einen alles immer neugieriger.

  • Na, dann bin ich mal gespannt, ob Du das etwas aufstöbern kannst.

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