Ralli Beaumonde

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Hauptmann Rosenfeld.. — 4. April 2013

Hauptmann Rosenfeld..

..als ich den kürzlichen Blogeintrag „Osterblüten“ verfasste, war mein Kopf voll mit Gedanken, die ich für wert *) fand, mitzuteilen:
Eigentlich hatte ich dort vor, einen Eintrag über die Kunst des Holzhackens, über Wälder und Quellen mit lauschigen Orten, über Berlin um 1920, ein kleines Mädchen mit ihrer Ziege im Stadtpark und über einen Hauptmann Rosenfeld zu schreiben.
Heute greife ich eine kleine Begebenheit heraus, die in Berlin in den 20er Jahren, also ab ca. 1920, spielt.

Da waren zwei – natürlich 😉 – hübsche Mädchen, Schwestern, die eine ebenso hübsche Mutter hatten, und diese Mutter sprach die etwa ein Jahr jüngere der beiden Schwestern darauf an, ob sie nicht als Haushaltshilfe etwas verdienen möchte, bevor sie einen Beruf und eine Anstellung fand?

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Die Ältere durfte – wie mir erzählt wurde – mit dem Vorrecht der Älteren, und weil ihr die familieninterne Qualifikation dafür zugesprochen wurde, ein sog. Lyzeum, also eine „Höhere Töchterschule“ besuchen, während die jüngere im Stadtpark (!) die Ziege hütete, mit diesem geliebten Tier spielte, also eine Konstellation fast wie in einem Märchen.
Im Winter spannte sie einen Schlitten hinter ihre Ziege und ab ging es in den Park..
Ich möchte erklären, dass die Jüngere tatsächlich von enormer Langeweile in der Schule geplagt wurde, und ihre Noten waren entsprechend. Dabei hatte sie Köpfchen, war sehr anmutig und hatte Herz und Charme und bei aller Bescheidenheit, eine Portion Berliner Witz und Schlagfertigkeit.
In den schlimmen Jahren zu Ende des ersten Weltkrieges, als Hunger und Depression in Berlin und anderswo herrschten, waren sie und ihre Schwester zeitweise tagsüber bei kirchlichen (?) Schwestern in einer sozialen Einrichtung – damals hieß es wohl Anstalt***) – untergebracht.
Dort, gab es wohl auch Brote mit einem undefinierbaren Aufstrich, und bei allem Hunger, der damals herrschte **), pappte die kleine Hilde diese Brote, die unter strenger Aufsicht der Aufseherinnen verzehrt werden mussten, unauffällig und gekonnt unter die Tischplatte, wo sie mit einigem Geschick und einigem Glück einige Zeit kleben blieben.
Das zur Situation des Hungers.. und zu Hilde.
Also Hilde war begeistert, in einem vornehmen Haushalt helfen zu dürfen!
Sie stellte sich im Hause Rosenfeld bei der Gattin des Besitzers, Hauptmann Rosenfeld, vor und wurde genommen.

Dort lernte sie eine Menge.
Kochen, Backen und Haushalten konnte sie mit Ihren inzwischen 12, 13 Jahren von zuhause her bereits, ich möchte sagen, hervorragend, aber hier lernte sie servieren und gehobenen gesellschaftlichen Umgang und fand die Zuneigung und das Vertrauen der dortigen Hausherrin, die sie sehr mochte und umgekehrt ebenso.

Wenn die Damen sich zu Kaffee und Gebäck im Salon trafen – das waren kulinarische Seltenheiten in diesen Zeiten – bereitete Hilde mit akkurater frischer, weißer Schürze in der Küche diese Dinge vor. Ob sie auch ein Häubchen trug, ich weiß es nicht.

Üblicherweise gehörte auch in einer kostbaren Glasschüssel serviert, eine „ordentliche“ Portion Schlagsahne zum Kaffeekränzchen dazu und offenbar gab es diese reichlich. Die Schlagsahne und die Kaffeekränzchen. Es gehörte zu den Aufgaben von Hilde, die Sahne zuzubereiten und zu servieren.
Und jedesmal, wenn dieses der Fall war, war es soviel süße Schlagsahne, dass sie reichlich die Schüssel ausfüllte, was Hilde – ebenso jedesmal auf’s Neue – veranlasste, den überschüssigen Teil zu kosten und den Rest mit einem silbernen Servierlöffel wieder dekorativ „in Form“ zu bringen.
..und nochmal und nochmal.. und nochmal..
bis plötzlich der Rest erschreckend klein geworden war.
Und was sagte die Dame des Hause dazu? „Na Hildchen, mal wieder gekostet?“ ..und sie lachten beide darüber.
So vergingen Jahre. Arbeitslosigkeit und bitterste Not herrschten in Deutschland.
Schließlich geschah ein Wunder, Hilde erhielt auf Empfehlung die Möglichkeit, eine Lehrstelle in einem Weiß- und Kurzwarengeschäft anzutreten. Sie besprach diese Möglichkeit mit Frau Rosenfeld und mit besten Wünschen und unter Tränen des Abschieds wechselte Hilde ihre Tätigkeit und trat in ein neues Leben ein, das sehr abenteuerlich verlief und über das ich evtl. und bei Interesse gelegentlich berichten möchte.

Als ich Hilde 50 Jahre später fragte, was denn aus Rosenfelds geworden sei, sagte sie mir, dass sie später oft an sie gedacht habe, sie inzwischen wohl längst verstorben seien und in Berlin noch Jahre glücklich gelebt hätten. Soweit Hilde mit ihrer Erinnerung.
Aber so konnte es nicht gewesen sein, ich bin mir ziemlich sicher, dass die Familie Rosenfeld mosaischen Glaubens war, also jüdisch, wie es genannt wurde.
So habe ich versucht, nachzuforschen, was geschah wirklich mit Hauptmann Rosenfeld und seiner Familie?
Es war nichts..
nichts zu finden.
Ich gehe davon aus, dass auch diese Familie ein schreckliches Ende gefunden hat, wünsche aber, dass sie durch ein Wunder irgendwie entkommen konnten.
Wie gerne hätte ich sie kennengelernt und mich im Namen meiner Mutter bedankt, denn die kleine Hilde, das war meine Mutter.

Aber etwas anderes ist geschehen, eine Bloggerin, die ich nicht nennen möchte, schrieb einen Eintrag über ihre Familie, und es scheint nicht ausgeschlossen, da ihre Großeltern den gleichen nicht sehr häufigen Familiennamen tragen und auch die selben nicht sehr häufigen Orte eine Rolle spielen, dass wir weitläufig oder auch enger verwandt sein können.
So geht es manchmal auf der Welt.
ciao
RB_signum

P. S. Korrekturlesen, wie gehabt, beizeiten. 😉

*) wahrscheinlich wird „wert“ nach dem „neuen Duden“ groß geschrieben, ich finde es klein richtiger 😉
**) Über den Hunger in der damaligen Zeit schreibt der Forscher und Arzt Dr. Dr. Friedrich Kanngießer in einer handdedizierten Schrift À travers des tènébres, „Auszüge aus Briefen, während des Terrors geschrieben“ veröffentlicht am 6. Dezember 1918, die mir seine Erben anläßlich eines zufälligen Besuches in seiner völkerkundlichen und naturwissenschaftlichen Sammlung überließen, „1. Mai 1917: In Rixdorf hat sich ein Kind aus Furcht vor Strafe erhängt, weil es seinen Angehörigen das Brot weggegessen hat. In Algringen hat ein Mädchen sein Schwesterchen mit dem Hammer erschlagen, weil es seine Brotkarte verloren hatte.“

Er prägte den wegweisenden Satz „Lieber eine Gasse für den Frieden, als eine Bresche vor Verdun.“ Leider blieb sein Aufruf im Wesentlichen ungehört.
***) Kinderbewahranstalt?