..als ich den kürzlichen Blogeintrag „Osterblüten“ verfasste, war mein Kopf voll mit Gedanken, die ich für wert *) fand, mitzuteilen:
Eigentlich hatte ich dort vor, einen Eintrag über die Kunst des Holzhackens, über Wälder und Quellen mit lauschigen Orten, über Berlin um 1920, ein kleines Mädchen mit ihrer Ziege im Stadtpark und über einen Hauptmann Rosenfeld zu schreiben.
Heute greife ich eine kleine Begebenheit heraus, die in Berlin in den 20er Jahren, also ab ca. 1920, spielt.
Da waren zwei – natürlich 😉 – hübsche Mädchen, Schwestern, die eine ebenso hübsche Mutter hatten, und diese Mutter sprach die etwa ein Jahr jüngere der beiden Schwestern darauf an, ob sie nicht als Haushaltshilfe etwas verdienen möchte, bevor sie einen Beruf und eine Anstellung fand?
Die Ältere durfte – wie mir erzählt wurde – mit dem Vorrecht der Älteren, und weil ihr die familieninterne Qualifikation dafür zugesprochen wurde, ein sog. Lyzeum, also eine „Höhere Töchterschule“ besuchen, während die jüngere im Stadtpark (!) die Ziege hütete, mit diesem geliebten Tier spielte, also eine Konstellation fast wie in einem Märchen.
Im Winter spannte sie einen Schlitten hinter ihre Ziege und ab ging es in den Park..
Ich möchte erklären, dass die Jüngere tatsächlich von enormer Langeweile in der Schule geplagt wurde, und ihre Noten waren entsprechend. Dabei hatte sie Köpfchen, war sehr anmutig und hatte Herz und Charme und bei aller Bescheidenheit, eine Portion Berliner Witz und Schlagfertigkeit.
In den schlimmen Jahren zu Ende des ersten Weltkrieges, als Hunger und Depression in Berlin und anderswo herrschten, waren sie und ihre Schwester zeitweise tagsüber bei kirchlichen (?) Schwestern in einer sozialen Einrichtung – damals hieß es wohl Anstalt***) – untergebracht.
Dort, gab es wohl auch Brote mit einem undefinierbaren Aufstrich, und bei allem Hunger, der damals herrschte **), pappte die kleine Hilde diese Brote, die unter strenger Aufsicht der Aufseherinnen verzehrt werden mussten, unauffällig und gekonnt unter die Tischplatte, wo sie mit einigem Geschick und einigem Glück einige Zeit kleben blieben.
Das zur Situation des Hungers.. und zu Hilde.
Also Hilde war begeistert, in einem vornehmen Haushalt helfen zu dürfen!
Sie stellte sich im Hause Rosenfeld bei der Gattin des Besitzers, Hauptmann Rosenfeld, vor und wurde genommen.
Dort lernte sie eine Menge.
Kochen, Backen und Haushalten konnte sie mit Ihren inzwischen 12, 13 Jahren von zuhause her bereits, ich möchte sagen, hervorragend, aber hier lernte sie servieren und gehobenen gesellschaftlichen Umgang und fand die Zuneigung und das Vertrauen der dortigen Hausherrin, die sie sehr mochte und umgekehrt ebenso.
Wenn die Damen sich zu Kaffee und Gebäck im Salon trafen – das waren kulinarische Seltenheiten in diesen Zeiten – bereitete Hilde mit akkurater frischer, weißer Schürze in der Küche diese Dinge vor. Ob sie auch ein Häubchen trug, ich weiß es nicht.
Üblicherweise gehörte auch in einer kostbaren Glasschüssel serviert, eine „ordentliche“ Portion Schlagsahne zum Kaffeekränzchen dazu und offenbar gab es diese reichlich. Die Schlagsahne und die Kaffeekränzchen. Es gehörte zu den Aufgaben von Hilde, die Sahne zuzubereiten und zu servieren.
Und jedesmal, wenn dieses der Fall war, war es soviel süße Schlagsahne, dass sie reichlich die Schüssel ausfüllte, was Hilde – ebenso jedesmal auf’s Neue – veranlasste, den überschüssigen Teil zu kosten und den Rest mit einem silbernen Servierlöffel wieder dekorativ „in Form“ zu bringen.
..und nochmal und nochmal.. und nochmal..
bis plötzlich der Rest erschreckend klein geworden war.
Und was sagte die Dame des Hause dazu? „Na Hildchen, mal wieder gekostet?“ ..und sie lachten beide darüber.
So vergingen Jahre. Arbeitslosigkeit und bitterste Not herrschten in Deutschland.
Schließlich geschah ein Wunder, Hilde erhielt auf Empfehlung die Möglichkeit, eine Lehrstelle in einem Weiß- und Kurzwarengeschäft anzutreten. Sie besprach diese Möglichkeit mit Frau Rosenfeld und mit besten Wünschen und unter Tränen des Abschieds wechselte Hilde ihre Tätigkeit und trat in ein neues Leben ein, das sehr abenteuerlich verlief und über das ich evtl. und bei Interesse gelegentlich berichten möchte.
Als ich Hilde 50 Jahre später fragte, was denn aus Rosenfelds geworden sei, sagte sie mir, dass sie später oft an sie gedacht habe, sie inzwischen wohl längst verstorben seien und in Berlin noch Jahre glücklich gelebt hätten. Soweit Hilde mit ihrer Erinnerung.
Aber so konnte es nicht gewesen sein, ich bin mir ziemlich sicher, dass die Familie Rosenfeld mosaischen Glaubens war, also jüdisch, wie es genannt wurde.
So habe ich versucht, nachzuforschen, was geschah wirklich mit Hauptmann Rosenfeld und seiner Familie?
Es war nichts..
nichts zu finden.
Ich gehe davon aus, dass auch diese Familie ein schreckliches Ende gefunden hat, wünsche aber, dass sie durch ein Wunder irgendwie entkommen konnten.
Wie gerne hätte ich sie kennengelernt und mich im Namen meiner Mutter bedankt, denn die kleine Hilde, das war meine Mutter.
Aber etwas anderes ist geschehen, eine Bloggerin, die ich nicht nennen möchte, schrieb einen Eintrag über ihre Familie, und es scheint nicht ausgeschlossen, da ihre Großeltern den gleichen nicht sehr häufigen Familiennamen tragen und auch die selben nicht sehr häufigen Orte eine Rolle spielen, dass wir weitläufig oder auch enger verwandt sein können.
So geht es manchmal auf der Welt.
ciao
P. S. Korrekturlesen, wie gehabt, beizeiten. 😉
*) wahrscheinlich wird „wert“ nach dem „neuen Duden“ groß geschrieben, ich finde es klein richtiger 😉
**) Über den Hunger in der damaligen Zeit schreibt der Forscher und Arzt Dr. Dr. Friedrich Kanngießer in einer handdedizierten Schrift À travers des tènébres, „Auszüge aus Briefen, während des Terrors geschrieben“ veröffentlicht am 6. Dezember 1918, die mir seine Erben anläßlich eines zufälligen Besuches in seiner völkerkundlichen und naturwissenschaftlichen Sammlung überließen, „1. Mai 1917: In Rixdorf hat sich ein Kind aus Furcht vor Strafe erhängt, weil es seinen Angehörigen das Brot weggegessen hat. In Algringen hat ein Mädchen sein Schwesterchen mit dem Hammer erschlagen, weil es seine Brotkarte verloren hatte.“
Er prägte den wegweisenden Satz „Lieber eine Gasse für den Frieden, als eine Bresche vor Verdun.“ Leider blieb sein Aufruf im Wesentlichen ungehört.
***) Kinderbewahranstalt?
gänsehaut pur!
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wie meinst du das, tom?
„gänsehaut“..
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wie ich das meine? genau so wie es dasteht! und das ging folgendermaßen:
einer meiner blogfreunde, sehr begabt beim verfassen kleiner, gänsehauterzeugender texte, aber ohne das sonst so berufsbedingt abschlaffend wirkende wissen um dessen gänsehauterzeugender wirkung, hatte wieder einmal einen guten tag und blogte einen neuen, sehr persönlichen eintrag, ein wirkliches kleinod diesmal, und wie das so kommt, zufällig kam ein anderer blogger daher, genau im moment des bloggens, und dieser, anfällig für genau diese art von aus der wirklichkeit entnommenener prosa, und las ihn, den text. eigentlich nichts ungewöhnliches, ja, aber dann kam der moment, in dem dieser berühmte effekt ins spiel kommt. denn der text forderte diesen ja förmlich heraus! und da war es um den leser geschehen, er bekam sie ohne dass er etwas dagegen tun konnte, sie, die sprichwörtliche gänsehaut! sie kroch ihm über den rücken hinauf an den hinterkopf und kitzelte dort… uhhh… ahhh… bis er lächeln musste! und so wollte er dieses gefühl mit dem autor teilen und kommentierte diese zwei, völlig eindeutigen worte: gänsehaut pur!
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aha..
tom, danke für das kompliment, aber zuviel des guten, zumal aus so berufenem munde..
also danke..
aber weißt du, gänsehaut – war nicht meine absicht, ich wollte über die liebe unter den menschen schreibe, auch wenn sie manchmal selten ist..
dafür umso wertvoller.
danke für dein gefühl, tom.
und.. schliesslich mußte „der leser“ ja auch lächeln.. 😉
gruss nach schweden..
und deine geschichten sind m i n d e s t e n s..
ebenso spannend und anregend. solche geschichten, wie du sie auswählst, fallen mir dagegen schwer..
jeder hat eben seine spezielle talente oder vielleicht weniger eingebildet, sein lieblingsthema.
ich erinnere mich z. b. an „anna“.. hat mich s e h r angesprochen. 😉
oder an die wundersamen filme von ingmar bergmann, die ich ohne dich wahrscheinlich nicht kennengelernt hätte.
ciao
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das sind momente, wo ich denken möchte, es gibt nichts besseres als das medium BLOG, ein platz, wo viele, sich sonst unbekannt bleibende, einfache menschen in ost und west und nord und süd, sich im verfassen tief ehrlich empfundener und deshalb wahrlich ergreifender texte zu treffen imstande sind und es möglich ist, sich darüber hinaus gegenseitig zu befruchten, um die schlummernden talente zur entfaltung zu bringen, oder wie siehst du das?
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das trifft es genau, wie ich es ebenso einschätze..
ein sehr positiver aspekt des internets.
danke für deine ideen, ich wünsche, sie werden auch andere menschen erreichen!
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Lieber Ralli
Nachdem diese Familie Rosenfeld offensichtlich Geld hatten, ist anzunehmen, dass sie bereits anfangs der 30er in die Staaten geflüchtet sind. Rosenfeld ist ein so häufiger jüdischer Name, dass es sicher unmöglich ist, sie zu finden.
Mir fällt jetzt eben diese Namensgeschichte ein. Denn die Namen der Juden waren ja zum grössten Teil hebräischer Natur, und damit man sie nicht an ihren Namen als Juden erkennt, haben sie sich umtaufen lassen in Rosenberg, Rosenfeld, Wasserstein, Grünbaum – also lauter wohlklingende, aussagekräftige Namen.
Dass diese klugen Menschen nicht erkannt hatten, dass sie mit diesen Namen jetzt noch viel besser als Juden zu erkennen waren, wird mir immer ein Rätsel bleiben.
Ich glaube ich habe schonmal erwähnt, dass ich Jüdin bin, und meiner Familie passierte das gleiche. Mein Urgrossvater hiess Yizchak Simchah und hat sich in Ignaz Fröhlich umtaufen lassen. Wobei simchah übersetzt lustig, fröhlich heisst.
Also er war offenbar schon ein wenig klüger. Denn Fröhlichs gab es auch unter den Österreichern.
LG Michaela
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hallo liebe michaela,
ich weiß, dass rosenfeld kein seltener name ist.
aber leider, nur die tatsache, dass diese familie glücklicherweise einigermassen vermögend gewesen sein mochte, ist nach meiner einschätzung noch lange kein grund, anzunehmen, dass ihnen eine emigration möglich war.
ich kenne fälle, in denen es den betroffenen lediglich gestattet wurde, 7 (sieben!) dollar an kapital mit in die usa zu nehmen.
wollen wir wünschen, dass es hier glücklicher verlief.
ich habe schon als kind immer die – nach meinem gefühl – schönen namen der juden bewundert, ich fand sie viel schöner als viele andere namen.
du schreibst „simchah“, ich habe es als „sameach“ gelernt?
meine mutti hat später in der konfektionsbteilung beim kaufhaus lindemann gearbeitet und mir von einem anderen kaufhaus isi(dor) rummelsburg in berlin erzählt.
ich konnte aber nicht einmal im internet heutzutage etwas über isi rummelsburg erfahren, auch nicht über yad vashem.
aufklären konnte ich dagegen das schicksal des lieblingscousins meines vaters, der arzt an der charité in berlin war und eine baila weinstock heiratete und deshalb mit ihr zunächst nach shanghai und später sao paulo brasilien emigrierte. ich fand ihn schließlich nach sehr abenteuerlicher recherche in den 90er jahren. leider zwei monate zu spät, denn er war im hohen alter zuvor als witwer verstorben.
und du, du erinnerst mich an eine „renie“.. 😉
die ich mal kurz kannte.
grüße sie mal bitte lieb von mir, falls du sie kennst.
lehitraot
ralli
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Hier ist kein grosser Unterschied zwischen diesen beiden Wörtern.
Mattityahu 5:12-14
Orthodox Jewish Bible (OJB)
12 Have simcha (joy) and lev sameach (glad heart), for your sachar (reward) is great in Shomayim, for thus they persecuted the Neviim before you.
Himmel ist bekannt als: Schamajim
Propheten als: nebiim.
Die Sprache hat sich nach der Neugründung Israels enorm verändert. Den vorher hat mehr oder weniger jeder die Vokale verwendet, wie es ihm gepasst hat, weil ja die Originalsprache keine Vokale hat.
Unter Jad vashem gibt es mehr als genug Einträge. Wikipedia und Bilder aus Jerusalem….doch möglicherweise habe ich Dich falsch verstanden.
Und wenn Du hier im Blog jemand suchen willst, dann brauchst Du nur ganz oben bei Blog/Mitglieder den Namen eingeben.
LG Michaela
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…das Leben spielt sehr merkwürdig mit seinen Teilnehmern…
…ich ging mit einem Jungen Namens Rosenfeld in Berlin in die Schule und wir waren recht eng miteinander befreundet. So viel ich weiß und wusste, war diese Familie damals nicht offiziell jüdisch…Also es kann schon sein, dass sich die Nachkommen des Hauptmann Rosenfeld auch nach dem Krieg noch in Berlin oder Umgebung aufhielten…
liebe Grüße
Heide
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liebe heide..
das ist ja ein ding! (zehn ausrufezeichen)..
ein doppelter zufall möglicherweise?
weißt du noch einzelheiten über „deine“ rosenfelds?
falls dir etwas einfällt lass‘ es mich wissen, evtl. da es die persönlichen bereiche dritter tangieren könnte, per mail?
..sowas..
ciao
ralli sprachlos
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